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Article | 29 November 2023 | Deutsch
Seamus Lyons, CFA
Senior Investment Manager, Architas
Übergewicht, eine Volkskrankheit mit schwerwiegenden Folgen
Das Diabetes-Medikament Ozempic von Novo Nordisk wurde 2017 als Arzneimittel zur Behandlung von Typ-2-Diabetes zugelassen. Eine der unbeabsichtigten Nebenwirkungen des Medikaments erwies sich schon bald als besonderer Vorteil: die Verlangsamung der Verdauung und die Nachahmung des appetithemmenden Peptidhormons „Glucagon-like Peptide 1“ (GLP-1). Daher führt seine Einnahme bei den Patienten zu einem durchschnittlichen Gewichtsverlust von 15-20 % innerhalb eines Jahres. Dies eröffnete einen neuen Markt für Menschen, die unter Adipositas leiden, also einen Body-Mass-Index von mehr als 30 haben. Wie Diabetes erhöht auch Adipositas das Risiko zahlreicher Folgeerkrankungen, darunter Krebs, Herzkrankheiten und Schlaganfälle. Nach Angaben der WHO hat sich die Häufigkeit von Adipositas seit 1975 weltweit fast verdreifacht, und bis 2030 werden 1 Milliarde Menschen stark übergewichtig sein. Besonders hoch ist der Anteil an Übergewichtigen in den USA: Dort ist er von 30,5 % der erwachsenen Bevölkerung im Jahr 2000 auf 41,9 % im März 2020 gestiegen. Fast 20 % der Kinder in den USA haben starkes Übergewicht. Laut einer Studie der Harvard Medical School ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder mit stark übergewichtigen Eltern selbst fettleibig werden, um 50-80 % höher.
Der weltweite Markt für Medikamente gegen Übergewicht könnte laut einer Studie von Morgan Stanley von 2,4 Mrd. US-Dollar im Jahr 2022 auf 77 Mrd. US-Dollar im Jahr 2030 wachsen. Über die nachgewiesene Wirksamkeit dieser neuen Appetitzügler bei der Behandlung von starkem Übergewicht hinaus deuten aktuelle Studien sogar darauf hin, dass diese Medikamente auch die Inzidenz einer Reihe von Folgeerkrankungen wie Herzinfarkte, Schlaganfälle und Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 20 % senken könnten. Neben Ozempic und Wegovy von Novo Nordisk gibt es mit Mounjaro ein weiteres Medikament dieser Art, dessen Zulassung das US-Pharmaunternehmen Eli Lilly bereits beantragt hat.
Die Nachfrage nach Medikamenten zur Behandlung von Adipositas übersteigt weiterhin das Angebot; allein in den USA sind die Verschreibungen seit Anfang 2020 um 300 % gestiegen. Eine Behandlung mit einem GLP-1-Medikament schlägt derzeit mit etwa 1.300 US-Dollar pro Monat zu Buche, und diese Medikamente wirken nur so lange, wie sie angewandt werden. Die meisten Patienten dürften sich das Medikament auf unbestimmte Zeit nicht leisten können. Medicare, das staatlich finanzierte Krankenversicherungsprogramm der USA für Menschen über 65, zahlt nicht für Medikamente gegen Adipositas. Um nur 10 % der versicherten US-Amerikaner mit Medikamenten gegen Adipositas zu versorgen, bräuchte man fast 4 % des gesamten Medicare-Budgets. Sofern der Preis von Wegovy von Novo Nordisk nicht um 40 % gesenkt wird, übersteigen die Gesamtkosten den Nutzen, den weniger Menschen mit Adipositas für das US-Gesundheitssystem bedeuten und der für 2016 auf 260 Mrd. US-Dollar geschätzt wurde.
Untersuchungen von Morgan Stanley haben ergeben, dass mehr als 70 % der Personen, die GLP-1-Medikamente einnehmen, weniger fett- und zuckerhaltige Lebensmittel konsumieren. Es lässt sich zwar nicht genau sagen, warum sich Aktien oder Sektoren unterdurchschnittlich entwickelt haben, aber die Lebensmittelaktien in den USA verzeichneten bis Mitte November 2023 eine negative zweistellige Performance gegenüber einer positiven zweistelligen Wertentwicklung des S&P 500. Jüngste Studien, die den Nutzen von GLP-1-Medikamenten bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen belegen, haben diese Performance-Differenz noch verstärkt und laut einer Studie von Alliance Bernstein zu historisch niedrigen Kursen des US-Nahrungsmittelsektors beigetragen. Andere Sektoren, die potenziell von einem Rückgang von Adipositas betroffen wären, wie z. B. Hersteller medizinischer Geräte und Dialyseanbieter, hinkten ebenfalls dem Gesamtmarkt hinterher.
Unser Standpunkt
GLP-1 hat das Potenzial, zur meistverkauften Arzneimittelkategorie aller Zeiten zu werden. Der Wirkstoff ist wirksam gegen Diabetes und starkes Übergewicht, und neuere Studien zeigen positive Auswirkungen auf eine Reihe von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Noch bleibt abzuwarten, ob wir einmal eine Welt erleben werden, in der zum Abnehmen ein Medikament ausreicht, aber wenn das Angebot an diesen Arzneimitteln steigt und ihr Preis sinkt, dürften sie für immer mehr Menschen zugänglich werden, auch für Angehörige von wirtschaftlich schwächeren Gruppen, die oft besonders gefährdet sind.