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Article | 24 October 2023 | Deutsch
Willkommen in Disneyland Venedig
Es wird geschätzt, dass 80 % der Touristen weltweit nur 10 % aller Reiseziele besuchen. Im September 2023 bot Venedig zum ersten Mal mehr Betten für Touristen als für Einwohner an. Die Popularität der Stadt hat die Mieten in für ihre eigenen Einwohner unerschwingliche Höhen getrieben. Im Gegenzug ist die Infrastruktur an Geschäften und anderen Dienstleistungen für die Bewohner zurückgegangen. Ab dem Frühjahr 2024 müssen Touristen, die als Tagesausflügler nach Venedig kommen, an den verkehrsreichsten Tagen des Jahres eine Gebühr von 5 € entrichten. Kommt diese Maßnahme zu spät, um das rückgängig zu machen, was die Aktivisten die „Disneyfizierung“ der Stadt nennen?
Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) machte der Reise- und Tourismussektor vor der Covid-Pandemie 10 % des weltweiten BIP aus und bot 320 Millionen Arbeitsplätze. Er war einer der am stärksten von der Pandemie betroffenen Sektoren, da die jährlichen Passagierzahlen im Jahr 2020 weltweit um 74 % gegenüber dem Vorjahr einbrachen. ‚Urlaub zu Hause’ trug dazu bei, den Bedarf an Urlaub für eine gewisse Zeit zu decken, aber die Verlockung eines ‚richtigen’ Urlaubs im Ausland kehrte bald zurück. Die Daten des Weltflughafenverbands von Mitte 2023 zeigen, dass das weltweite Passagieraufkommen (Freizeit- und Geschäftsreisende) bis Ende 2023 wieder über 90 % des Niveaus aus dem Jahr 2019 Jahren erreichen dürfte. Es könnte sich jedoch ein Wandel ankündigen.
Während der durch die Covid-Pandemie bedingten Lockdowns kam es zu einem Trend zurück zur Natur und zur Umwelt. Das hatte als beständige Auswirkung die Förderung des nachhaltigen Tourismus zur Folge. Nach Angaben der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen trägt nachhaltiger Tourismus zur Erhaltung des Naturerbes und der biologischen Vielfalt bei. Er respektiert auch die soziokulturelle Authentizität der Gastgemeinschaften und bietet ihnen sozioökonomische Vorteile.
Ausgehend von einer relativ niedrigen Basis – ca. 5 % der gesamten Reise- und Tourismusbranche – wurde der Markt für nachhaltigen Tourismus im Jahr 2022 weltweit auf 1 Billion Dollar geschätzt. Bis zum Jahr 2032 wird er voraussichtlich mehr als 8 Billionen Dollar wert sein. Nachhaltiger Tourismus ist noch ein relativ neues Konzept, und Urlauber und Reiseveranstalter werden sich darauf einstellen müssen – von den traditionellen Anliegen wie Preis, Qualität und Bequemlichkeit hin zu ganzheitlicheren Anliegen wie sozialen, kulturellen und ökologischen Fragen. Wie in anderen Bereichen auch, kann Greenwashing in der Branche ein Problem sein. Ein Hotel ist nicht unbedingt eine „Öko-Lodge“, nur weil es sich so nennt.
Es besteht Handlungsbedarf. Die wirtschaftliche Bedeutung des Reise- und Tourismussektors ist unbestreitbar, aber dieser ist auch ein großer Verursacher von CO2-Emissionen. Der Tourismusverkehr verursacht jährlich 20 % aller verkehrsbedingten Emissionen und 5 % aller vom Menschen verursachten Emissionen. Zu den anderen
CO2-emittierenden tourismusbezogenen Teilsektoren gehören die Lieferung von Baumaterialien für den Bau von Hotels, die Nahrungsmittelproduktion und die Abfallwirtschaft.
Doch nachhaltiger Tourismus kann auch gelingen, sogar auf Landesebene. Costa Rica ist zu einem Paradebeispiel für nachhaltigen Tourismus geworden. Das Land ist mit 2 Millionen Einreisen aus Übersee im Jahr 2022 im Vergleich zu knapp 4 Millionen internationalen Einreisen in Venedig klein. Es beherbergt jedoch 5 % der weltweiten Artenvielfalt.
Costa Rica zeichnet sich dadurch aus, dass die Regierung eine Reihe von Zertifizierungsprogrammen entwickelt hat, die den Schutz der natürlichen Ressourcen und die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften fördern. Sie bewertet darüber hinaus eine Reihe von Kategorien, darunter Strände, nachhaltigen Wohnungsbau und geschützte Naturräume. Diejenigen, die besonders gut abschneiden, werden mit ‚blauen Flaggen’ ausgezeichnet. Das wirtschaftliche Argument für die Einhaltung der Vorschriften besteht darin, dass Touristen zu zertifizierten Anbietern mit guten Bewertungen gelenkt werden.
Unser Standpunkt
Die Förderung eines nachhaltigeren Tourismus beinhaltet einfache Entscheidungen, wie z. B. die Förderung der Attraktivität von weniger bevölkerten Ländern und Regionen. Dazu gehören aber auch schwierigere Themen, wie z. B. das Überdenken der Steuererleichterungen für den Luftfahrtsektor, der die Grundlage für Billigflüge bildet und zu einem der Hauptverursacher von
CO2-Emissionen wird. Das Gleichgewicht zwischen ‚Zuckerbrot’ und ‚Peitsche’, d. h. die Frage, wie stark der Tourismussektor reguliert werden muss, bleibt noch zu finden. Die Bestrebungen einiger Städte, die Tourismusströme zu kontrollieren, werden genau beobachtet werden, aber es ist ermutigend, dass das Wachstum der Touristenzahlen nicht mehr als Schlüsselindikator für den Erfolg in dieser Branche angesehen werden kann.